
Fünf Jahre Wirecard-Skandal Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen
Auch fünf Jahre nach Bekanntwerden des Milliardenbetrugs beim Zahlungsdienstleister Wirecard beschäftigt der Skandal die Gerichte. Ein Ende ist kaum absehbar - und die Schuldfrage nach wie vor offen.
Es waren denkwürdige Worte, mit denen Markus Braun heute vor fünf Jahren einen der größten Wirtschaftsskandale in der deutschen Geschichte einleitete: Er könne nicht ausschließen, verkündete der Wirecard-Chef am 18. Juni 2020, dass sein Unternehmen möglicherweise "in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden" sei. Am selben Tag musste Wirecard die Vorlage seiner Jahresbilanz verschieben - und der Skandal nahm seinen Lauf.
1,9 Milliarden Euro waren plötzlich nicht mehr auffindbar. Ob es sie jemals gegeben hat oder alles nur erfunden war? Diese und andere Fragen rund um den Betrug beschäftigen bis heute Gerichte. Ein Ende dieser juristischen Aufarbeitung ist noch lange nicht in Sicht.
Vom gefeierten DAX-Star in die Pleite
Mit einem simplen Geschäftsmodell, aber vermeintlich sagenhaften Wachstumsraten hatte sich Wirecard über die Jahre einen Namen gemacht: Der Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München sorgte im Hintergrund dafür, Geld vom Kunden zum Händler zu transferieren und erhielt dafür eine Provision. Zeitweise war der Tech-Konzern an der Börse mehr wert als die Deutsche Bank oder die Commerzbank, mancher witterte gar ein deutsches Apple oder Google.
So hoch der Flug war, so tief der Fall: Es folgten die Insolvenz und ein politischer Untersuchungsausschuss, der viele Versäumnisse des Wirtschaftsprüfers EY und der Finanzaufsicht BaFin ans Licht brachte. Der einst gefeierte Ex-CEO Braun wurde verhaftet und sitzt seit Juli 2020 in Untersuchungshaft.
Noch immer versucht Insolvenzverwalter Michael Jaffé, verlorene Gelder einzutreiben, immerhin 650 Millionen Euro an Insolvenzmasse konnte er inzwischen sammeln. Die Gläubiger fordern jedoch insgesamt rund 15,4 Milliarden Euro.
Droht Markus Braun eine hohe Haftstrafe?
Juristisch lässt sich das Wirecard-Erbe in mehrere Stränge aufteilen. Besonders im Fokus steht der Strafprozess gegen Braun und zwei weitere ehemalige Manager, die sich seit Dezember 2022 vor dem Landgericht München verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem gewerbsmäßigen Bandenbetrug und Bilanzfälschung vor.
Auch nach mehr als 200 Prozesstagen gleich das Bild einem großen Puzzle. "Es war von Anfang an klar, dass die Staatsanwaltschaft auch im Rahmen ihrer Ermittlungen nicht den einen rauchenden Colt gefunden hat", ordnet Gerichtssprecher Laurent Lafleur ein. Vielmehr könnte sich aus einer "Vielzahl von Mosaikstücken am Ende möglicherweise ein Bild zusammenfügen".
Ermittlungen und Anklagen gegen weitere Wirecard-Manager
Um das Verfahren zu beschleunigen, hatte das Gericht im Februar beschlossen, die Anklage auf Kernvorwürfe zu reduzieren. Beobachter werten dies als Hinweis, dass Braun eine hohe Haftstrafe drohen könnte. Zudem lehnte das Oberlandesgericht München wiederholt Beschwerden seiner Verteidigung ab, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Sitzungstermine sind derzeit bis Ende des Jahres angesetzt - ob dann auch ein Urteil fällt, ist offen.
Im Lauf der Jahre hat die Staatsanwaltschaft München auch Anklage gegen weitere ehemalige Vorstände erhoben und ermittelt gegen weitere Beschuldigte. Unter den Hauptverdächtigen ist Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek, der international per Haftbefehl gesucht wird. Behörden vermuten ihn in Russland. Inzwischen hat sich das Bild verdichtet, dass Marsalek eine Gruppe von Spionen angeleitet haben soll.
Ihn beschuldigt Markus Braun auch, Kopf der betrügerischen Bande hinter dem Wirecard-Skandal zu sein. Sich selbst sieht Braun hingegen seit dem ersten Tag als Opfer, das zu Unrecht auf der Anklagebank sitze.
Aktionärsschützer kritisieren Gerichte im Fall Wirecard als zu langsam
Neben den strafrechtlichen Verfahren wird der Wirecard-Skandal auch zivilrechtlich aufgearbeitet - aus Sicht von Anlageschützern jedoch deutlich zu langsam. "Vorgeplänkel", nennt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) den bisherigen Verlauf.
Hatten Ende 2024 Zehntausende geschädigte Aktionäre noch Hoffnung in ein sogenanntes Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) gesetzt, stellte sich bei vielen schnell Ernüchterung ein. Bislang befasste sich das Gericht vor allem mit Formalitäten, die zum Teil nun auch der Bundesgerichtshof klären muss. "Es kann nicht sein, dass solche Verfahren in Deutschland so lange dauern", kritisiert Anlageschützerin Bergdolt.
Im Kern geht es um die Frage, ob die geschädigten Anlegerinnen und Anleger vom Wirtschaftsprüfer EY Schadenersatz fordern können. Selbst wenn der BGH einen solchen Prozess zulassen sollte, drohen jahrelange juristische Auseinandersetzungen. EY weist alle Vorwürfe entschieden zurück.
Wirecard-Anleger brauchen viel Geduld
Ob die Geschädigten also jemals auch nur einen Teil ihres Geldes wiedersehen werden, ist fraglich. Bis es möglicherweise irgendwann so weit ist, werden sie noch viel Geduld aufbringen müssen. Im Fall der Telekom-Aktie hatte es fast 20 Jahre gedauert, bis Gerichte einen Schlussstrich ziehen konnten.