
Nordrhein-Westfalen Betriebsräte in NRW immer mehr unter Druck
Von den Hochöfen des Ruhrgebiets bis zu den Hidden Champions im Sauerland war er einst eine Selbstverständlichkeit – der Betriebsrat. Doch im Industrieland NRW bröckelt das Fundament der betrieblichen Mitbestimmung. Der Druck auf Betriebsräte wächst – nicht selten werden sie als Störfaktor empfunden, wo in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Anpassung und Tempo gefragt sind.
Thomas arbeitet für eine Sicherheitsfirma am Flughafen. Er möchte anonym bleiben, zu groß ist die Angst, den Job zu verlieren. „Bei der ersten Betriebsversammlung war es tatsächlich so, dass dort Führungskräfte abgestellt waren, die sich die Namen notieren sollten von den Leuten, die dort reingehen. Dann merkt man natürlich, dass es einfach gar nicht gewollt ist“, berichtet er dem WDR-Magazin Westpol.
DGB: Betriebsräte in vielen Branchen unerwünscht

Anja Weber, Vorsitzende DGB NRW
Wenn Beschäftigte sich organisieren, um ihre Rechte zu vertreten, endet das in vielen Unternehmen nicht selten im Konflikt. „Es sind die bekannten Beispiele, wie Lieferdienste oder jetzt das Beispiel am Flughafen“, sagt Anja Weber vom Deutschen Gewerkschaftsbund NRW (DGB). Doch nicht nur Unternehmen in bekannten „Problembranchen“ verhinderten Betriebsräte. „Auch Familienunternehmen in der Automobilzuliefererindustrie, in der chemischen Industrie. Wenn sich Beschäftigte aufmachen und sagen, wir wollen auf Augenhöhe mitbestimmen, stößt das auf erbitterten Widerstand.“, so Weber weiter.
Zahl der Betriebsräte und die Tarifbindung sinken stetig
In Nordrhein-Westfalen arbeiten aktuell 51 Prozent der Beschäftigten mit Tarifvertrag – das ist zwar leicht über dem Bundesdurchschnitt von 49 Prozent, aber weit entfernt von früheren Werten. 1994 lag die Tarifbindung in NRW noch bei 82 Prozent, im Jahr 2020 waren es noch 57 Prozent. Das geht aus aktuellen Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor.
Noch drastischer ist die Entwicklung bei den Betriebsräten, wie eine Analyse des arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Januar dieses Jahres zeigt: In ganz Deutschland existieren Betriebsräte heute nur noch in etwa sieben Prozent der Betriebe – ein historischer Tiefstand. 1996 hatten noch fast doppelt so viele Unternehmen einen Betriebsrat. Gleichzeitig ist der Anteil der Beschäftigten, die in einem Betrieb mit Betriebsrat arbeiten, von 49 % (1996) auf 36 % (2023) gesunken.
Widerstand gegen Betriebsräte – ein strukturelles Problem?
Eine weitere aktuelle Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) aus dem Jahr 2024 stützt diese Eindrücke: In Deutschland wird demnach jede fünfte geplante Betriebsratsgründung behindert. Einschüchterung, Drohungen, Kündigungen – besonders oft treffe es mittelgroße, inhabergeführte Firmen. Fast die Hälfte der betroffenen Arbeitgeber setze dabei auf externe Unterstützung, etwa durch spezialisierte Kanzleien oder Unternehmensberater. Die Zahlen des WSI stammen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, bei denen Betriebs- und Personalräte zu ihren Erfahrungen befragt wurden.

Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer unternehmer nrw
Die Arbeitgebervertreter kontern: „Also, ich kann diese Zahlen überhaupt nicht nachvollziehen, muss ich sagen. Das erleben wir auch in unserer täglichen Arbeit überhaupt nicht. Dass die Zahl der Betriebsräte leicht rückläufig ist, hat sicherlich aus unserer Sicht andere Gründe.“ sagt Johannes Pöttering vom Verband unternehmerNRW. Grundsätzlich nehme die Bindungskraft von Gewerkschaften, Parteien, aber auch Verbänden oder Kirchen ab. „Wir haben mittlerweile einen Arbeitnehmermarkt. Die Arbeitgeber müssen sich vielmehr darum bemühen, dass Beschäftigte zu ihnen kommen und bei ihnen bleiben. Das verbessert natürlich auch die Arbeitsbedingungen, und dadurch ist auch der Wunsch und das Bedürfnis nach einem Betriebsrat viel niedriger.“, so Pötterings Erklärung.
Braucht die Mitbestimmung ein (politisches) Update?
Es gehörte schon immer schon Mut dazu, als Arbeitnehmer in einem Betrieb, wo es keinen Betriebsrat gibt, sich dafür einzusetzen, dass ein Betriebsrat gegründet wird.
Karl-Josef Laumann, NRW-Arbeitsminister
Die Landesregierung arbeitet aktuell an einem Tariftreuegesetz, auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird eins angekündigt. Staatliche Aufträge sollen dann nur noch an diejenigen Firmen vergeben werden, die auch nach Tarifverträgen bezahlen. Die Arbeitgeberverbände erinnern hingegen immer wieder daran, dass Tariftreuegesetze in der Vergangenheit auch wegen enormen bürokratischen Aufwand abgeschafft wurden.

Karl-Josef Laumann (CDU), NRW-Arbeitsminister
Der NRW-Arbeitsminister hält dagegen: „Es ist immer die Frage, wie man Gesetze macht. Wenn man die Gesetze so macht, dass es am Ende wenig bewirkt und riesige Bürokratie auslöst, dann würde ich den Unternehmern Recht geben. Wenn es aber darum geht, mit Augenmaß denjenigen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen auch einen Vorteil zu geben, der seine Leute anständig bezahlt, finde ich das in Ordnung.“
Signal aus dem Bundesrat: Mehr Schutz für Gewerkschaften
Am Freitag stand in der Länderkammer eine Initiative zur umfassenden Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung auf der Tagesordnung, die NRW mit auf den Weg gebracht hatte. Das Ziel: das Betriebsverfassungsgesetz fit machen für Digitalisierung, KI und Globalisierung – mit besonderem Augenmerk auf einem festen digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften und besseren Schutz vor Union‑Busting. Der Begriff stammt aus den USA und beschreibt den gezielten Versuch von Unternehmen, gewerkschaftliche Organisierung und Mitbestimmung im Betrieb zu unterdrücken oder zu sabotieren.
Ein richtiger Schritt meint die DGB-Vorsitzende aus NRW, Anja Weber: „Gewerkschaften müssen die Chance haben, mit den Menschen zu sprechen. Und wenn die Menschen nicht mehr im Betrieb sind, dann muss das digital möglich sein.“
Beim Verband unternehmerNRW hält man von den Vorschlägen wenig: „Eigentlich alles das, was da unter dem Begriff Weiterentwicklung genannt wird, ist heute nach dem Betriebsverfassungsgesetz schon möglich. Also auch die Landesregierung wäre gut beraten, erst mal die Rechtslage zu prüfen, bevor man populistische Anträge stellt.“ so Johannes Pöttering.
Ob die betriebliche Mitbestimmung als Relikt endet oder reformierbar ist, wird aber nicht in Berlin und Düsseldorf entschieden, sondern am Ende in jedem einzelnen Betrieb.
Unsere Quellen:
- Interview mit Anja Weber, DGB NRW
- Interview mit Johannes Pöttering, unternehmerNRW
- Interview mit NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann
- Umfrage/Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts
- Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Report 1/2025)
Über dieses Thema berichten wir auch am 15.06.2025 um 19:30 Uhr in "Westpol" im WDR Fernsehen.