Muslima mit Burkas und Kopftüchern spazieren in der Innenstadt Frankfurt

Nordrhein-Westfalen Antimuslimischer Rassismus trifft Frauen besonders stark

Stand: 17.06.2025 16:52 Uhr

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel ist die Zahl der antimuslimischen Vorfälle in Deutschland in die Höhe geschnellt. In rund 70 Prozent der Vorfälle waren Frauen die Zielscheibe. Islamfeindlichkeit werde zu einer alltäglichen Erfahrung.

Von Oliver Scheel

Die Zahl antimuslimischer Vorfälle in Deutschland hat 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Das geht aus dem "zivilgesellschaftlichen Lagebild antimuslimischer Rassismus" der Organisation Claim hervor, die vom Bildungs- und Familienministerium sowie vom Innenministerium gefördert wird.

So wurden im vergangenen Jahr 3.080 Übergriffe und Diskriminierungen dokumentiert – ein deutlicher Anstieg um 60 Prozent im Vergleich zu 2023. Damals waren 1.926 Fälle gezählt worden. Im vergangenen Jahr gab es damit den Angaben zufolge im Durchschnitt mehr als acht Vorfälle pro Tag.

Dunkelziffer womöglich weit höher: Es dominiert die Angst

Zwar stieg auch die Zahl der teilnehmenden Beratungsstellen von 17 auf 26. Doch die Dunkelziffer sei hoch: "Aufgrund fehlender Beratungs- und Meldestrukturen, fehlenden Vertrauens von Betroffenen oder auch fehlender Expertise, antimuslimischen Rassismus zu erkennen, ist insgesamt von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen", schreiben die Autoren der Studie.

Es würden also nicht alle antimuslimischen Straftaten als solche erkannt und gar nicht erst zur Anzeige gebracht, "weil Betroffene kein Vertrauen in Behörden haben und Angst haben, nicht ernst genommen werden zu werden", so die Studie.

"Erleben eine neuen Eskalationsstufe" - zunehmende Brutalität und Enthemmung

Verbale Angriffe machten mit knapp 56 Prozent den größten Anteil der dokumentierten Fälle aus. Etwa jede zweite muslimische Person berichtet bundesweit von rassistischer Diskriminierung bei Behördengängen. 39 Prozent der muslimischen Männer erleben rassistische Diskriminierung bei der Polizei.

"Wir erleben in Deutschland eine neue Eskalationsstufe antimuslimischer Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung", erklärte Claim-Ko-Geschäftsführerin Rima Hanano. Es gebe "nicht nur einen massiven Anstieg, sondern auch eine neue Qualität von antimuslimischem Rassismus in Form einer zunehmenden Normalisierung, Enthemmung und Brutalität".

Vorfälle richten sich vor allem gegen Frauen

Ayten Kılıçarslan

Ayten Kılıçarslan, Bundesvorsitzende des Sozialdienstes muslimischer Frauen

In rund 70 Prozent der 2024 dokumentierten antimuslimischen Vorfälle wurden Frauen zur Zielscheibe. Ayten Kılıçarslan, Bundesvorsitzende des Sozialdienstes muslimischer Frauen, teilt diese Ansicht. Islamfeindlichkeit sei eine ganz tagtägliche Erfahrung, die Menschen in der Öffentlichkeit machten, sagt sie im Interview mit dem WDR.

Aber warum richtet sich die Gewalt so oft gegen Frauen? "Bei Frauen ist es sichtbarer, wenn sie ein Kopftuch tragen. Man hat das Gefühl, es kann jederzeit etwas passieren", berichtet Kılıçarslan aus ihrem eigenen Leben. "Sobald ich in öffentlichen Verkehrsmitteln bin oder beim Einkaufen, dann ist das Gefühl viel intensiver", so Kılıçarslan. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 ist die Situation der Muslime in Deutschland laut Kılıçarslan schlimmer geworden. Es kämen auch mehr Menschen in ihre Beratungsstelle.

NRW macht keine Ausnahme bei den antimuslimischen Vorfällen

Auch aus NRW sind im Jahr 2024 viele solcher antimuslimischer Vorfälle dokumentiert. So wurde in Bottrop-Welheim die örtliche Moschee mit "Fuck Islam" und einem Hakenkreuz beschmiert - gleich zwei Mal innerhalb weniger Tage.

Nach dem Hamas-Überfall auf Israel wurden immer wieder an Lieferdienste wie Lieferando rechtsextreme, volksverhetzende und antimuslimische Hassbotschaften an Moscheen, islamische Gemeinden und Restaurants versendet, die als muslimisch wahrgenommen wurden.

So wurde in Bielefeld eine Essens-Bestellung an eine Moschee geschickt, in den Bemerkungen fanden sich übelste volksverhetzende Beleidigungen. Laut Ermittlungen wurden innerhalb weniger Minuten 66 weitere, angeblich für denselben Kunden bestimmte Bestellungen, bei verschiedenen Restaurants in Auftrag gegeben. Aus einem Bericht des Landesinnenministeriums von NRW geht hervor, dass der Polizei allein in NRW seit Oktober 2023 eine mittlere dreistellige Zahl solcher Fälle bekannt ist.

Was können Frauen tun?

Sollten betroffene Muslime solchen Hass einfach hinnehmen? Kılıçarslan rät den Frauen, das Erlebte nicht zu schlucken. "Es ist besser, sich nicht in geschützte Räume zurückziehen. Je weniger wir sichtbar werden, desto schlimmer wird es, ist meine Befürchtung", so die Diplom-Pädagogin. "Viele haben seit Jahren eine Mauer um sich herum gebaut." Das diene ihrem Schutz, damit sie nicht tagtäglich unter dem Rassismus litten.

Was können Frauen noch tun? "Auf jeden Fall darüber sprechen", sagt Kılıçarslan. Viele Frauen würden das Thema tabuisieren, aber wenn Kılıçarslan und ihre Beratungsstelle mit ihnen gesprochen hätten, dann wüssten sie, dass es in "Deutschland sehr viele Menschen gibt, die uns unterstützen. Die meisten Menschen sind nicht islamophob", so Kılıçarslan. "Da gibt es eine große Solidargemeinschaft, sehr viele Organisationen, die die Vielfalt fördern. Wenn Frauen darüber sprechen und nicht alles schlucken, dann ist das besser für die seelische Gesundheit", so die Expertin.

Unsere Quellen:

  • WDR 5 Morgenecho: Interview mit Ayten Kılıçarslan
  • Studie der Organisation "Claim": Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus
  • Bericht des Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen: "An Moscheegemeinden gerichtete Hassbotschaften in Bielefeld, Münster und Gelsenkirchen", 2024.
  • Agenturen AFP, dpa