Eine Ölraffinerie brennt nach Raketenfeuer in Haifa: Der Tübinger Landrat Walter war auf Dienstreise in Israel, als der Krieg zwischen Israel und Iran ausbrach.

Baden-Württemberg Interview mit Tübinger Landrat Walter: "Plötzlich waren wir im Krieg"

Stand: 18.06.2025 19:39 Uhr

Landrat Joachim Walter war auf Dienstreise in Israel. Plötzlich griff das Land den Iran an - und er war im Kriegsgebiet. Was hat er erlebt? Und wie ist er nach Hause gekommen?

Von Ulrike Mix

Der Tübinger Landrat Joachim Walter (CDU) war gerade im Norden Israels in der Stadt Haifa. Er und Mitarbeiter Professor Wolfgang Sannwald wollten eigentlich weiter in den Partnerlandkreis Hof HaCarmel, der ganz in der Nähe liegt. Doch dann griff Israel in der Nacht zum 13. Juni den Iran an.

SWR Aktuell: Herr Walter, wie haben Sie den Kriegsausbruch erlebt?

Joachim Walter: Wir haben um 3.40 Uhr über einen allgemeinen Alarm von dem Angriff erfahren. Im ganzen Land sind die Sirenen ertönt, was auch für die Israelis ungewöhnlich war. In der Regel werden Alarme punktuell ausgelöst. Wir wollten mit einer kleinen Gruppe zu einem Ort fahren und dort Kontakte zu Jugendlichen aufnehmen, weil wir da ein gemeinsames Projekt und Kontakte mit der Verwaltung haben. Das hat sich dann alles geändert, weil dieser Alarm darauf hingewiesen hat, dass Israel tatsächlich den Iran angegriffen hat. Wir haben relativ schnell die Information über das Fernsehen bekommen. Das war der Anfang.

Man wacht auf, hört die Rakete und dann ist man einfach damit beschäftigt, sich schnell anzuziehen.

SWR Aktuell: Wie ging es dann weiter? Mussten Sie sofort in Schutzräume oder Bunker?

Walter: Ja, wir haben im achten Stock eines Hotels gewohnt und mussten sofort in den Schutzraum runter. Der war im zweiten Untergeschoss. Man stellt sich so eine Situation wild durcheinander vor. Aber weil die Israelis die Situation kennen, lief alles sehr geordnet ab. Im Bunker haben wir miteinander geredet und uns kennengelernt.

Der Tübinger Landrat Joachim Walter war auf Dienstreise in Israel, als der Krieg zwischen Israel und Iran begann. Immer wieder musste er bei Raketenalarm in einen Schutzbunker flüchten.

Im zweiten Untergeschoss eines Hotels in Israel hat der Tübinger Landrat Joachim Walter (CDU) Schutz gesucht, wenn Raketenalarm ausgelöst wurde.

SWR Aktuell: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diesen Alarm gehört haben?

Walter: Ja gut, man wacht auf, hört die Rakete und dann ist man einfach damit beschäftigt, sich schnell anzuziehen und in den Bunker zu gehen. Wenn man weiß, wie geordnet und strukturiert das eigentlich abläuft, ist man nicht zutiefst verunsichert. Aber man weiß auch, man muss sich jetzt in Sicherheit bringen, weil man sonst unter Umständen eben tatsächlich oder möglicherweise in Lebensgefahr ist.

SWR Aktuell: Wie haben Sie die Nächte dort erlebt?

Walter: Wir sind nicht allzu sehr zur Ruhe gekommen. In der ersten Nacht war lediglich dieser eine große Alarm. Aber dann ging es in den folgenden Tagen weiter. Einmal waren es zwei Alarme in der Nacht, dann waren es aber auch mal vier Alarme in der Nacht - zu unterschiedlichen Zeiten.

Vor allem ist es so, wenn man dann durch einen Alarm aus dem Schlaf gerissen wird, da geht das Adrenalin entsprechend hoch und dann schläft man nach Entwarnung, wenn man wieder im Zimmer ist, auch nicht mehr so ganz schnell ein.

Der Tübinger Landrat Joachim Walter hält sein Handy in der Hand. Darauf hat er noch immer die App installiert, die ihn in Israel vor Reketenangriffen gewarnt hat.

Auf seinem Handy hat der Tübinger Landrat Joachim Walter noch immer die App installiert, die ihn in Israel vor Reketenangriffen gewarnt hat. Er war auf Dienstreise bei Kollegen des Partnerlandkreises Hof HaCarmel.

SWR Aktuell: Sie waren beruflich vor Ort wegen neuer Projekte mit dem Partnerlandkreis. Konnten Sie Ihre Pläne trotz der Situation umsetzen?

Walter: Unser Programm ist völlig durcheinander gewürfelt worden. Das eigentliche Projekt konnten wir nur an einem Tag besprechen. Dafür hatten wir andere sehr interessante Einblicke. Zum Beispiel die Resilienz der Gesellschaft, die ungeheuerliche Kraft, sich schnell und selbst zu organisieren in solchen Situationen und der soziale Zusammenhalt, der uns fast Normalität vermittelt hat in der Zeit.

SWR Aktuell: Das Kriegsgebiet wieder zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren, war schwierig. Es war klar, dass der Luftraum schon bald gesperrt werden würde. Wie sind sie aus Israel hinausgekommen?

Walter: Wir haben uns dann am Sonntagnachmittag überlegt: Was tun wir? Vom Auswärtigen Amt und von der deutschen Botschaft dort haben wir immer wieder E-Mails bekommen nach dem Motto: "Hören Sie auf die dortigen Sicherheitsbehörden." Es gab Hinweise, wie das im Bunker geht. Das wussten wir aber schon alles. Das haben uns die Israelis alles ganz schnell erklärt. Aber ansonsten kam nichts. Und dann haben wir uns umgeschaut und haben gedacht, wie könnte man ausreisen - zum Beispiel über Jordaniens Hauptstadt Amman?

Aber das war für uns schwierig einzuschätzen. Die Frage war, ob nicht auch der Luftraum über Amman gesperrt werden würde. Denn die Jordanier haben Israel beim Abfangen der Raketen unterstützt, und die Iraner haben erklärt, auch die Unterstützer Israels anzugreifen. Also war auch das eine eher unsichere Option für uns.

Herr Walter, Gott sei Dank rufen Sie an!

Dann habe ich bei dem Reisebüro, bei dem wir die Reise gebucht haben, ein israelisches Reisebüro aus Stuttgart, einfach mal am Sonntag angerufen. Die anderen haben gesagt: "Was willst du da am Sonntag anrufen? Da erreichst du niemanden!" Und sofort ging jemand an das Telefon und sagte: "Herr Walter, Gott sei Dank rufen Sie an! Wir haben eine Idee, wie Sie aus Israel ausreisen können."

Dafür mussten wir von Haifa nach Jerusalem fahren. Unser Projektpartner hat uns mit dem Auto dorthin gebracht - immer unter der ständigen Frage: Wann kommt der nächste Alarm? Was tut man, wenn man unterwegs ist? Dann hat man keinen Schutzraum im Keller. Aber wir haben es uns trotzdem zugetraut und sind nach Jerusalem gefahren.

SWR Aktuell: Ihre Heimreise war lang: Von Jerusalem ging es mit dem Bus durch ganz Israel in Richtung Ägypten. In Sharm el Sheikh konnten Sie schließlich in ein Flugzeug nach Istanbul steigen. Von dort ging es nach Stuttgart.

Walter: Die ganze Reise hat ungefähr 34 Stunden gedauert. Wir waren zwei Tage unterwegs. Und wir hatten auch die Alarme in der Nacht davor. Das heißt, Sie können die schlaflose Zeit nochmal zu den 34 Stunden dazurechnen. Wir mussten jetzt erst einmal ausschlafen.

Ich habe die Raketen-Warn-App immer noch installiert.

SWR Aktuell: Und wie ist das jetzt am Tag nach der Rückkehr, wieder quasi wie immer im Landratsamt zu sein?

Walter: Ja, es ist schon ungewöhnlich, weil wir jetzt von allen gefragt werden: Wie war es denn? Ich habe die Raketen-Warn-App immer noch auf dem Handy installiert und ich reagiere immer noch, wenn ein Alarm kommt. Ich fühle natürlich mit den Menschen mit, die dort sind. Es ist also noch nicht ganz Normalität, wieder hier zu sein. Eines ist mir klar geworden: Wir haben hier nur kleine Sorgen.

Öffentliche Veranstaltung mit Eindrücken von vor Ort
Der Landkreis Tübingen hat seit dem vergangenen Jahr eine Partnerschaft mit dem Kreis Hof HaCarmel in Israel. Gemeinsame Projekte und deren Planungen waren Anlass für eine Dienstreise nach Israel. Doch dann brach der Krieg zwischen Israel und Iran aus. Was sie in den Tagen vor Ort erlebt haben, darüber berichten Joachim Walter, Wolfgang Sannwald und der israelische Landeshistoriker Jakob Eisler am Montag, 23. Juni 2025, um 18.30 Uhr im Großen Sitzungssaal des Landratsamts Tübingen. Der Eintritt ist frei. Das Landratsamt bittet um eine formlose Anmeldung unter [email protected].

Sendung am Mi., 18.6.2025 17:30 Uhr, SWR4 BW Studio Tübingen - Regionalnachrichten

Mehr zum Krieg zwischen Israel und Iran