
Korruption in Spanien Wackelt die spanische Regierung?
Korruptionsvorwürfe gegen die sozialdemokratische Regierungspartei PSOE schlagen in Spanien hohe Wellen. Im Fokus: ein Spitzenfunktionär und Vertrauter von Ministerpräsident Sánchez.
"Dimision" - "Rücktritt" schreien die Abgeordneten der Opposition im Chor im spanischen Parlament dem Regierungschef entgegen. Schon in den ersten zehn Minuten am Morgen im Parlament kocht der Saal, die Sitzungsleiterin muss mehrmals eingreifen, Respekt einfordern.
Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo nennt Pedro Sánchez den "Wolf des Rudels der Korrupten". Der Gescholtene kontert, Feijóos Volkspartei Partido Popular (PP) sei eine "Enzyklopädie der Korruption", und so geht es weiter, nach dem Motto: Wer ist korrupter, die Linken oder die Rechten?
Sánchez hat umgeschaltet auf Attacke, so scheint es. Nach Veröffentlichung der jüngsten Erkenntnisse im Korruptionsskandal in Sánchez' Partei bat er das Volk am vergangenen Donnerstag noch demütig um Verzeihung. Sein achtfaches "perdón" trug er mit Grabesmiene vor.
Sánchez gibt sich ahnungslos
Seitdem folgt Schlagzeile auf Schlagzeile. Und sogar eher regierungsfreundliche Zeitungen sehen den Ministerpräsidenten wackeln. "Sánchez hat seinen Kredit aufgebraucht", so die Zeitung El País. In der harmlosesten Variante, kommentiert die Zeitung weiter, wäre er ein miserabler Personal-Manager.
Alle anderen Varianten setzten ein gewisses Maß an Wissen oder Duldung dessen voraus, was seine engsten Mitarbeiter taten. Aber Sánchez gibt sich nach wie vor ahnungslos.

Santos Cerdán gilt als Vertrauter von Parteichef Sánchez. Ihm wird vorgeworfen, Schmiergelder für Bauaufträge "verwaltet" zu haben.
Vertrauter von Sánchez im Fokus
Dabei geht es in den jüngsten Enthüllungen um Santos Cerdán, die Nummer drei der "Partido Socialista Obrero Español", dem Pendant zur deutschen SPD. Cerdán gilt als Vertrauter von Parteichef Sánchez, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Sánchez vor acht Jahren erneut die Nummer eins der Partei wurde.
Nach einem Bericht der auf Korruptionsdelikte spezialisierten Polizeieinheit UCO soll der mittlerweile zurückgetretene Cerdán Schmiergelder für Bauaufträge "verwaltet" haben. Es geht um Hunderttausende Euro. Auf fast 500 Seiten haben die Ermittler ihre Ergebnisse detailliert aufgelistet.
Offenbar sehen sie Hinweise auf eine kriminelle Organisation, belegt in aufgezeichneten Gesprächen von Cerdán mit dem ehemaligen Verkehrsminister José Luis Ábalos und dessen Berater Koldo García. Die Ermittlungen gegen diese beiden sorgen schon seit Monaten für Empörung in Spanien.
Die konservative "Partido Popular" hatte bereits vor der jüngsten Veröffentlichung 50.000 Menschen zum Protest gegen die Regierung mobilisiert. Motto: Mafia oder Demokratie.
Korruption, ein Dauerbrenner-Thema in der spanischen Politik
All das passiert fast exakt sieben Jahre, nachdem die damalige PP-Regierung wegen einer Korruptionsaffäre per Misstrauensvotum gestürzt wurde. Seitdem regiert Pedro Sánchez. Damals kassierten hohe konservative Parteifunktionäre lange Haftstrafen.
Kein Wunder, dass jetzt bei den Bürgern der Eindruck entsteht, die spanische Politik - egal ob rechts oder links - sei korrupt. Der spanischen Politikwissenschaftler Victor Lapuente Gine, der an der Uni Göteborg forscht, erklärt das so: In der öffentlichen Verwaltung hänge die Karriere häufig von einer politischen Partei ab.
Dabei gebe es viele Ämter zur Korruptionsbekämpfung, auch spezielle Staatsanwaltschaften und Transparenzabteilungen, so Gine: "Wir haben eine Vielzahl von Institutionen, mehr als in vielen anderen Ländern, aber sie sind eindeutig ineffizient."
Lapuente fordert eine Verbesserung der Zusammenarbeit dieser Institutionen und mehr Transparenz bei der Auftragsvergabe. Keine der großen Parteien hat allerdings bisher eine grundlegende Reform in die Hand genommen. Auch wenn Sánchez in der aktuellen Parlaments-Debatte "Null Toleranz" gegenüber Korruption beschwört.
Misstrauensvotum bisher nicht in Sicht
Und jetzt? Versucht der Regierungschef, Zeit zu gewinnen. Auch um auszuloten, ob seine ohnehin wackelige Mehrheit im Parlament hinter ihm steht. Seit Montag geben sich Vertreter seiner Unterstützer am Regierungssitz die Klinke in die Hand.
Sánchez regiert gemeinsam mit dem linken Parteienbündnis "Sumar". Das pocht jetzt darauf, die "saubere Linke" zu sein. Einzelne Abgeordnete überlegen, aus dem Parteienbündnis auszusteigen. Um ein etwaiges Misstrauensvotum zu überstehen, bräuchte Sánchez aber zusätzlich noch die Fraktionen, die ihn zum Regierungschef mit gewählt haben. Auch die Partei des katalanischen Separatisten-Führers Carles Puigdemont, die für Zustimmung gern einen Preis verlangt.
Konkurrierende Mehrheiten
Eben diese Fraktionen könnte aber auch Oppositionsführer Feijóo gebrauchen, um Sánchez das Misstrauen auszusprechen. Sie müssten sich entscheiden, ob sie das Korruptionskomplott fortsetzen wollten, ruft er ihnen heute im Parlament zu. Obwohl Feijóos Partei PP mehr Sitze im spanischen Parlament hat als die Sozialdemokraten, fehlen ihm vier Stimmen für das Votum.
Derweil rätselt ganz Spanien weiter, ob Ministerpräsident Sánchez etwas gewusst hat. Und: ob seine Regierung diese Krise überlebt.
Politikwissenschaftler Lapuente meint: "Mit Sánchez ist alles möglich". Er sehe aber derzeit praktisch keine Möglichkeit, dass Sánchez bei etwaigen Wahlen ein positives Ergebnis erzielen werde.
Allerdings dauert die reguläre Legislaturperiode noch ganze zwei Jahre. Und schon jetzt ist absehbar, dass die von der Korruptions-Schlammschlacht geprägt sein dürften, ebenso wie die heutige Parlamentsdebatte. Sánchez selbst war schon mehrmals politisch abgeschrieben - und kämpfte sich zurück.